„Papst der Bauphysik“ hofft auf echte Kreislaufwirtschaft | Prof. Dr. Gertis

Prof. Dr. Gertis begeisterte beim Sparkassen Umweltforum in Calw

Auch das siebte Umweltforum der Sparkassen-Stiftung Umweltpreis bot in Calw wieder einen hochkarätigen Vortrag, diesmal vom „Doyen der deutschen Bauphysik“ Prof. Karl Gertis. Für seine Forschungen und rund 300 Fachpublikationen hat der langjährige Direktor des Fraunhofer-Instituts zahlreiche Auszeichnungen und Ehrendoktorgrade erhalten. Der auch im Zweiberuf auch als Komponist erfolgreiche Wissenschaftler träumt von nachhaltigem Bauen und „einer echten thermodynamischen Kreislaufwirtschaft“.

Vorstandsvorsitzender Dr. Herbert Müller verwies in seiner Begrüßung auf das umfangreiche Engagement der Sparkasse Pforzheim in den Bereichen Energie, Umwelt- und Klimaschutz. Die Entwicklung eigener Produkte und Förderprogramme sowie energetische Maßnahmen im Unternehmen tragen zur Ressourcen-Schonung bei. Fast 180 Millionen Euro umfasst das Finanzierungsvolumen der Sparkasse für umweltschonende Energieerzeugung ihrer Kunden.

Kuratoriums-Mitglied Prof. Peter Cheret führte ins Thema des von der Musikschule Calw künstlerisch umrahmten Abends „Nachhaltig bauen, gesund wohnen?!“ ein. Der renommierte Architekt erkennt keinen Unterschied mehr zwischen Ökonomie und Ökologie. Der größte Energiefresser sei nicht die Industrie, sondern private Wohngebäude. Hier, in der „dritten Haut des Menschen“ nach der natürlichen und der zweiten, über die Kultur angeeigneten, sieht er wie Gertis die erfolgsversprechendsten Ansätze. Auch deshalb „hat die Bauphysik Karriere gemacht“ mit „Bestimmungen, was eine Hülle leisten soll“, unterstrich Professor Cheret. Exakt 63 Kriterien gibt es für ökologisches Bauen.

„Das viele Kleinvieh macht viel mehr Mist“ konnte Karl Gertis gleich eingangs seines Vortrags aufzeigen, dass 40 Prozent der Emissionen aus dem Gebäudebereich kommen. „Ich befürchte, was wir an CO2 einsparen wird an Methan wieder frei“, bei Ölbohrungen und tauenden Permafrostböden zum Beispiel, machte der Emeritus deutlich. Sechzig mal stärker als Kohlendioxyd ist Methan am Treibhauseffekt beteiligt und „auch die Landwirtschaft hat hier ihre Unschuld längst verloren.“

Nicht nur außerhalb, auch innerhalb der eigenen vier Wände gelte es, eine gesunde Atmosphäre zu schaffen. Und negative Raumklima-Einwirkungen konnte der eloquente Redner gleich ein lange Reihe nennen: Wärme, Feuchte, Zug, Licht. Lärm, elektromagnetische Felder und Radioaktivität. Nicht zuletzt sei „unglaublich, was aus Dämmstoffen alles rauskommt“, selbst aus Holz. Deshalb müsse stetiger Luftaustausch hergestellt werden, um auch dem von Feuchtigkeit lebenden Schimmel die Nahrung zu entziehen. In Deutschland zugelassene Dämmstoffe hält der Bauphysiker übrigens generell für unbedenklich, Preis und Qualität sollten die einzigen Kriterien sein.

Überhaupt stellt die Feuchtigkeit in Wohnräumen ein wenig bekanntes Problem dar, zumindest bei ungenügender Durchlüftung. 1,7 bis 4,4 Liter bringt ein Mensch pro Tag Feuchtigkeit ein, und Zimmerpflanzen 1,2 bis 4,8 Liter. „Gießwasser können Sie als direkt in die Wohnung geschüttet betrachten“, insgesamt eine Badewanne voll beträgt der durchschnittliche Feuchtigkeitseintrag pro Woche. Weil diese Feuchte schon aus gesundheitlichen Gründen wieder aus der Wohnung raus müsse, „habe ich was gegen absolut dichte Fenster“, bekannte Gertis. Idealerweise sollte die Hälfte der Raumluft innerhalb einer Stunde umgewälzt sein.

Nur im Zusammenhang mit „Dreck“ sei trockene Luft schlecht, feuchte könne gar nicht ungesund sein. Aber eine „Basismeckerrate von zehn Prozent“ sei letztlich unvermeidbar und ein Indikator für gutes Raumklima. Ohne gute Reinigung sei gesundes Wohnen aber grundsätzlich nicht möglich, stellte der überaus rüstige 72-Jährige klar.

Ohnehin sei es „keine Affäre, ein Haus zu bauen, das mehr Energie produziert als verbraucht, aber man muss es auch bezahlen können“, stellte Professor Gertis fest. Aber es gelte eben auch zu berücksichtigen, wie viel Energie die Herstellung von Solarzellen verschlinge und wie teuer ihre Entsorgung werde. Der Kreislauf eines Hauses müsse „von der Wiege bis zum Abriss“ durchdacht werden. Energie- Stoff- und Massenflüsse seien zu berücksichtigen, ein Paradigmenwechsel letztlich unvermeidbar. „Wir müssen aus der Durchlaufwirtschaft raus und hin zu einem in sich geschlossenen Kreislauf“, umriss der Wissenschaftler das Ideal der Bauphysik. Letztlich müsse erreicht werden, „ dass wir die Natur nicht mehr antasten, sondern innerhalb unserer eigenen Brühe verbleiben!“

In der von Professor Cheret moderierten lebhaft geführten Diskussionsrunde wurde deutlich, dass am „thermodynamisch einzig stabilen und nachhaltigen Energielieferanten Sonne“ letztlich kein Weg vorbeiführt. Aber weil auch „ein Eimer mit Loch nicht mit Wasser gefüllt“ werden könne, seinen photovoltaische Maßnahmen nur nach energiesparender Dämmung sinnvoll.

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