Vom Beton zum Bio-Beton – Lokales Material von globaler Bedeutung

Dr. Dipl.-Ing. Wolfram Schmidt forscht in der Abteilung „Bauwerksicherheit“ der
Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin.

Wie der globale Süden eine Vorreiterrolle bei der Dekarbonisierung des Betontechnologie einnehmen kann, indem bewährte Verfahren aus dem globalen Norden vermieden werden

Beton ist ein globales Material und aufgrund seiner starken Auswirkungen auf das Klima gleichermaßen auch ein Material von höchster globaler Bedeutung. Allein das Bindemittel Zement, das ca. 90% des CO2-Fußabdrucks des Baustoffs Beton ausmacht, ist heutzutage verantwortlich für ca. 8% der gesamten anthropogenen CO2-Emissionen. Allerdings macht Beton auch in etwa die Hälfte von dem aus, was die Menschheit jemals hergestellt hat, und nach Wasser ist Beton der am meisten von Menschen verbrauchte Stoff. Der hohe CO2-Fußabdruck des Materials kommt also von der schieren Masse, die Jahr für Jahr verbaut wird. Andere Materialien, in gleicher Menge verbaut, würden den CO2-Emissionen der Bauwirtschaft nur noch weiter in die Höhe treiben. Beton bleibt also alternativlos, aber die Technologie und die Versorgungsketten müssen optimiert werden, und der Baustoff muss so weit wie möglich aus erneuerbaren Komponenten gewonnen werden. Hierzu gibt es viele gute Ansätze, aber die Überregulierung im europäischen Rahmen verhindert die dringend erforderlichen Technologiesprünge.

Der technologischer Rahmen für Beton hat sich nicht unabhängig von historischen Ereignissen und parallelen technologischen Entwicklungen weiterentwickelt. Trotz seines globalen Charakters wurde die bewährte Praxis daher von den regionalen Spezifikationen derjenigen Regionen beeinflusst, die zu verschiedenen Zeiten als technologisch führend galten; zumeist Länder des globalen Nordens wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die USA, Japan und China, die ein wirtschaftliches Interesse an der Ausweitung ihrer Standards und Regelwerke auf globaler Ebene haben.

Lange Zeit wurde die Betontechnologie ausschließlich von Sicherheitsaspekten bestimmt, gefolgt von Dauerhaftigkeitsaspekten, die bis heute eine wichtige Rolle spielen. Zusammen mit Aspekten der Wirtschaftlichkeit und Marktabgrenzungen sind die aktuell weltweit geltenden Normen und Regelwerke folglich um Tum die Parameter Tragsicherheit und Dauerhaftigkeit aufgebaut.

Angesichts des Klimawandels sind jedoch Aspekte wie geringe Kohlenstoffemissionen und Nachhaltigkeit zu übergreifenden Merkmalen für die Technologie geworden, die nicht mit diesen zentralen historischen Parametern Sicherheit und Dauerhaftigkeit in Einklang stehen. Wurde früher lieber „auf der sicheren Seite“ bemessen, um Schaden zu vermeiden, müssen Ingenieure sich heute fragen, ob die sichere Seite in Zeiten des beschleunigten Klimawandels nicht unter Umständen langfristig sogar größeren Schaden anrichtet. Daher sind neuartige, noch nie dagewesene Baustoffkonzepte erforderlich, um die Klimaziele zu erreichen. Der bestehende normative Rahmen stellt dabei ein Hindernis für die erforderlichen Sprunginnovationen dar und die Anwendung altbewährter Lösungen kann sich als Bärendienst erweisen.

Insbesondere im globalen Süden, wo die Pro-Kopf-Kohlenstoffemissionen heute deutlich niedriger sind als im Rest der Welt, wo aber in den nächsten Jahrzehnten eine enorme und schnelle Bautätigkeit stattfinden wird, ist es weder technologisch noch sozioökonomisch sinnvoll, den etablierten Regelwerken und bewährten Verfahren zu folgen. Dafür können auf Basis von neuartigen, lokalen Stoffströmen ganz neue Entwicklungen entstehen. Was für Lebensmittel gilt, gilt auch für Baustoffe: Lokale Lösungen sind am nachhaltigsten. Um lokale Lösungen für das globale Problem hoher CO2-Emissionen zu finden, müssen bisher vernachlässigte Rohstoffquellen bedacht werden, und diese finden sich in ladwirtschaftlichen und wasserwirtschaftlichen Rest- und Abfallstoffen. Viele Pflanzen enthalten große Mengen an Aluminium, Silizium und Kalzium, also den relevanten mineralischen Komponenten von Zement und Beton. Diese können klassische, fossile Stoffe wie Kalkstein, Bauxit und Ton teilweise oder sogar vollständig ersetzen und gerade in Afrika und Südamerika, welche 90% der noch ungenutzten nutzbaren Landwirtschaftsflächen der Erde aufweisen dabei helfen die bevorstehenden Herausforderungen, die sich aus dem Bevölkerungswachstum und der damit verbundenen rapiden Urbanisierungsrate ergeben, klimafreundlich und kreislaufwirtschaftlich zu meistern. Dies erfordert aber ein Umdenken in Bezug auf die klassischen Geschäftsmodelle auf Basis globaler Versorgungsketten, führt aber am Ende nicht nur zu geringeren Emissionen der Baubranche, sondern auch zu einer faireren Verteilung der daraus entstehenden Gewinne.

Der Vortrag erörtert die grundlegenden Unterschiede zwischen etablierten Zement- und Betonvorschriften, die in Zeiten des Klimawandels nicht mehr angemessen sind, und arbeitet Lösungen aus, die im Kontext der städtischen Entwicklungen im globalen Süden deutlich nachhaltiger sein können. Zuletzt werden Lösungspotenziale für Sprunginnovationen und für die Entwicklung umweltfreundlicherer, emissionsärmerer und gerechterer Geschäftsmodelle und Bautechniken herausgearbeitet, welche im globalen Süden schon heute angewendet werden könnten, um die Emissionen deutlich zu reduzieren, welche aber auch übertragen auf den globalen Norden zu Innovationstreibern für die Dekarbonisierung der Bautechnik heranreifen können.

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