Einführung: unsere Welt am Ende des Zeitalters der klassischen Industrialisierung
Auch wenn keiner in die Zukunft schauen kann, so sind einige der „Megatrends“, die unsere Welt bedingen, erstaunlich gut vorherzusagen. Die Weltbevölkerung wird weiter steigen und für das Jahr 2030 mit mehr als 8 Milliarden erwartet, mit der Mehrzahl der Menschen in Städten lebend. Gerade große Städte benötigen jedoch große Mengen an Energie und Ressourcen und belasten die Umwelt in einem Maße, welches nicht aufrecht gehalten werden kann 1. Gleichzeitig steigt der Lebensstandard in vielen Teilen der der Welt 2. Würde jeder Erdenbürger wie ein Nordamerikaner leben wollen, wären wohl zwei bis drei Erden nicht ausreichend, um eine entsprechende Lebensweise zu ermöglichen 3.
Der gemeinsame Effekt von Bevölkerungswachstum und verbesserter Lebensstandard belastet verstärkt den Planeten und die verbleibenden zugänglichen Ressourcen. Die Welt verbraucht bald mehr Energie, als mit konventionellen Methoden erzeugt werden kann10, 11 insbesondere weil die Lebensstandards sich global verbessern. Bis 2030 haben wir eine weitere Steigerung des Energieverbrauches um 50% zu erwarten 9. Unser Bedarf an Rohöl überschreitet schon jetzt die Geschwindigkeit, mit der es aus der Erde gefördert werden kann. Der Hunger nach Energie bedingt zudem zunehmende Mengen an Kohlendioxid (CO2), ein Atmosphärengas, welches zur globalen Erwärmung und dem Klimawandel beiträgt.
Wir schädigen unseren Planeten wahrscheinlich in einer irreparablen und manchmal nicht einmal quantifizierbaren Weise. Es ist auch klar, dass unser jetziger Umgang mit Rohstoffen nicht nachhaltig ist. Ein „Untergang“ ist jedoch nicht unausweichlich und soll auch nicht gepredigt werden. Tenor dieses Vortrages ist vielmehr, dass die Chemie, manchmal zu Recht oder zu Unrecht mit dem Etikett versehen, Umweltprobleme zu verursachen, Problemlösungen beigetragen kann, die uns helfen, mit diesen Weltfragen unzugehen.
Vor einer Darstellung möglicher Lösungswege oder der „Treiber des Wissenschaft“ ist eine kurze, eher noch unvollständige Pointierung der Ausgangslage hilfreich:
- Die wachsende Bevölkerung und der wachsende Wohlstand verlangen zunehmend mehr Energie. Dieser Energiebedarf wird schon sehr bald die Menge an nutzbarer Energie übersteigen, die mit jetzigen Methoden hergestellt werden kann. Neue nachhaltige Technologien der Energieerzeugung und -speicherung sind zu entwickeln, mit denen zukünftige neue Energiekreisläufe bei gleichzeitigen Minimierung der CO2-Erzeugung ermöglicht werden.
- Für die nächsten 100 Jahre wird eine mittlere Erderwärmung um bis zu 4.5°C ist vorhergesagt, begleitet von noch größeren Wetterextremen auf der lokalen Skala. Dies ist größtenteils das Ergebnis der menschlichen CO2 Emissionen. CO2 kann im Moment weder in den entsprechenden Mengen gebunden noch gespeichert werden. Die Menschheit muß Verfahren erarbeiten, in wenigen Jahren ein Großteil des zusätzlichen CO2 auch wieder zu binden,
- Ca. 90% des geförderten Erdöls werden für Energieerzeugung und Treibstoffe verwendet, und nur der Rest wird von der Chemie für die Erzeugung von sehr viele Alltagsprodukten benutzt, von Plastikgegenständen bis hin zu lebensrettenden Medikamenten. Alternative, nachhaltige Quellen für Chemierohstoffe müssen geschaffen werden und bedeuten zudem Rohstoffsicherheit und globale finanzielle und politische Stabilität. Der Mangel an seltenen Rohstoffen wird noch in der Lebensspanne der jetzigen Generation schmerzhaft werden. Viele umkämpfte Rohstoffe werden zudem in Krisengebieten gewonnen und führen zu menschlicher Not und politischer Instabilität.
Alle diese Herausforderungen können jedoch interessanterweise innerhalb einer starken Wissenschafts-Infrastruktur mit einer fördernden, langfristig denkend und handelnden politischen Kultur gehandhabt werden. Dies schließt eine nicht-fortschrittsfeindliche Gesetzgebung sowie Investitionen in die langfristig orientierte Grundlagenforschung als die eigentlichen Engpässe der Innovation mit ein.
Ich persönlich stehe als beteiligter Wissenschaftler fest dazu, dass wir eine Welt schaffen können, in der unsere Energie nachhaltig erzeugt, gespeichert und geliefert wird, wo and wann immer sie benötigt wird. Wir können Verschmutzungen minimieren und auch aus der Umwelt entfernen, während wir neue Konsumentenprodukte schaffen, die weniger belastend sind. Viele der Ziele können so schon kurzfristig angegangen werden und schon die Lebensqualität der jetzigen und nächsten Generation verbessern. Finanzielle Investitionen werden sicherlich in größerem Umfang benötigt; auf mittel- bis langfristiger Sicht werden sich diese Investitionen jedoch auch ökonomisch auszahlen 8, werden neue, nachhaltige Industrien ermöglichen, die beständigere Arbeitsplätze schaffen und globale Sicherheit und Stabilität fördern.
Die künstliche Photosynthese
Der Prozess der natürlichen Photosynthese, d.h. die Entstehung von pflanzlicher Biomasse durch die Spaltung von CO2 mit Licht, ist die Grundlage aller fossilen Energieträger. Man muss sich klar machen, das praktisch die gesamte Sauerstoffatmosphäre dieser Welt, fast alle Kohle, Erdöl und Erdgas, Endprodukte dieses Prozesse sind: für jedes Sauerstoffmolekül der Atmosphäre liegt irgendwo ein Kohlenstoffatom in einem Träger gebunden.
Dieser gewaltige Umfang photosynthetischer Aktivität liegt natürlich daran, dass unser Planet mit Sonnenenergie reich beschenkt wird. Theoretisch fallen jeden Moment 120000 Terawatt Sonnenenergie irgendwo auf unseren Planeten. Die Größe dieser Zahl wird erst klar, wenn man weiß, dass der durchschnittliche technische Weltenergieverbrauch im Jahre 2000 bei 13 TW lag, oder in anderen Worten: der Energiebedarf der Welt ein Jahres lässt sich in einer einzige Stunde Sonnenlicht darstellen. Die Sonne kann deswegen als eine ideale, nachhaltige Energiequelle beinahe unerschöpflichen Potentials angesehen werden.
Die natürliche Photosynthese setzt dabei weltweit ca. 125 TW in Biomasse um, d.h. nur 0.1 % des Sonnenlichts werden von Pflanzen als chemische Moleküle eingefangen, und nur ein kleiner Bruchteil davon bleibt wiederum als fossiler Energieträger gebunden, da die allermeiste Biomasse gleich wieder „veratmet“ wird. Dies liegt zum einen daran, das nicht alle Gegenden der Erde für Pflanzenwuchs geeignet sind, zum anderen ist die natürliche Photosynthese höherer Pflanzen mit 0.3 % „Systemeffizienz“ eher sehr ineffektiv, und der Anbau von Energiepflanzen lohnt sich nur, weil Landwirtschaft so preiswert und „einfach“ ist.
Es liegt daher nahe (und ist ein alter Menschheitstraum), durch „künstliche Photosynthese“ diese Effektivität maßgeblich zu steigern. Auch in der künstlichen Photosynthese wird Sonnenenergie in chemische Energiespeichermoleküle umgesetzt, sei es Wasserstoff durch die Wasserspaltung, sei es Ammoniak, Methan oder Methanol durch aufwendigere Reaktionskaskaden und CO2-Umsetzung. Jetzige marktübliche Silizium-Photovoltaik-Systeme haben auf kommerziellem Level schon einen elektrischen Wirkungsgrad von 18%, sind aber in der Produktion nicht nichthaltig und zu teuer. Ein Wirkungsgrad von 10% für die künstliche Photosynthese scheint auf Grund grundsätzlicher Überlegungen erreichbar, und dies dann hoffentlich nachhaltiger und zu weitgünstigeren Kosten als die heutige Photovoltaik. Bildhaft ausgedrückt beideutet dies, das auch in unserem Breiten Photosynthesesysteme („künstliche Bäume“) das Äquivalent von 300 Tonnen Methanol pro Hektar erzeugen könnten, das wäre ca das 100 fache jetziger Biokraftstoffe.
Um die Entwicklung solch einfacher artifizieller Photosynthesesysteme ist ein weltweites „Wettforschen“ entstanden, welches sehr profilierte Gruppen in Japan, USA, und auch Deutschland umfasst. Auch die DFG hat ein Schwerpunktprogramm zur lichtinduzierten Wasserspaltung ausgeschrieben, in dem auch das 10% Effizienz Ziel genannt ist, das BMBF finanziert ein „Light-to-Hydrogen“ Programm. Die Darstellung all dieser Aktivitäten würde diesen Artikel weit sprengen, so dass ich mich hier auf die eigenen biomimetischen Ansätze meines Institutes beschränken möchte.
Biomimetische Photosynthesekonzepte
Biomimetisch arbeiten heisst, von den Vorbildern der Natur zu lernen. Dabei kann man für die „Übersetzung“ in ein technisches System durchaus vereinfachen, aber auch in der Materialwahl abstrahieren und sich von biologischen Molekülen ganz lösen. So hat sich die Biologie in einem „biologischen Eigenchaftsfenster“ (z.B. Wasser, mittlere Temperaturen, Biomoleküle) optimiert, welches man technisch getrost verlassen darf. Andere Eigenschaften wie die Nachhaltigkeit und die guteVerfügbarkeit der Rohstoffe dagegen wären wünschenswert zu erhalten.
Wir wissen von geo-archeobiologischen Indikatoren, dass Photosynthese und damit auch Leben wohl außerordentlich schnell nach der Verfestigung des Glutballs Erde entstanden ist. Ist der älteste Quarz dieser Welt ca. 4.4 Milliarden Jahre alt, können die ersten Hinweise auf CO2– Umsetzung bereits „kurz“ danach, schon auf 3.85 Milliarden Jahre zurückdatiert werden: Vor 3.2 Milliarden Jahre war dann Photosynthese ein Massenphänomen, wekches die Erde veränderte. Photosynthese wurde von der Natur also unter sehr rauen, chemisch sogar brutalen Bedingungen „erfunden“.
Die zum Lichteinfangen und daraus resultierender Ladungstrennung verwendeten Halbleiterstrukturen („Antennen“) sind dabei nicht anorganischer Natur (wie z.B der technisch bekannte Si-Halbleiter), sondern organischer Natur. Dies ist aus materialchemischer Sicht erst einmal unerwartet, da der erzeugte Sauerstoff alle üblichen heutigen organischen Halbleiter oxidiert und damit zerstört. Quantenchemische Rechnungen zeigen jedoch, das spezielle Polymere und Oligomere aus Stickstoff und Kohlenstoff nicht nur die geignete Bandlücke für das „Lichteinfangen“ haben, sondern eben auch so Oxidationsstabil sind, dass sie eher Sauerstoff aus dem Wasser freisetzen als selber zu oxidieren. Bildhaft gesprochen sind diese organischen Moleküle so edel wie Platin. Wir haben nun eine ganze Reihe dieser „Kohlenstoff-Stickstoff- Polymere“ im Wesentlichen nur aus CO2 und Ammoniak hergestellt und für die Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff verwendet, mit teilweise für den Anfang beachtlichen Effizienzen. So liegt die Wasserstofferzeugung im niedrigen Prozentbereich, Sauerstoff kann mittlerweilen im Labor mit 0.3 % Effizienz erzeugt werden. Dies entspricht zufällig der natürlichen Photosynthese.
Es muss jedoch auch gesagt werden, dass für das technisch angestrebte Ziel von 10% jedoch noch viele Detaillösungen notwendig sind; dies jedoch gehört zu den täglichen Pflichten des Wissenschaftlers, und wir sind dafür ausgebildet.
Die darauf aufbauende technische Vision des „künstlichen Baumes“ ist ebenfalls bildhaft zu kommunizieren. Solch ein Baum darf in der Herstellung nicht mehr als 2000 Euro kosten und produziert mit der Fläche eines großen Gartenschirms z.B. ca. 300 l Methanol/ Jahr. Mit 5 dieser Bäume könnte man ein jetziges KFZ selbst versorgen, ohne das weitere größere technische Innovationen notwendig wären. Künstliche Photosynthese ist jedoch von einer Alltagsanwendung noch weit entfernt und im Moment nur ein nachhaltiges Leitbild.
Wider das globale CO2-Problem: Nutzungsschemen für Abfall- Biomasse
Die Situation ist da im zweiten Beispiel, welches für die Behandlung des CO2 – Problems geeignet wäre, deutlich verschieden. Hier sind wissenschaftlich-technische Lösungen eigentlich schon so weit, dass der mögliche Fortschritt im Wesentlichen von der Gesetzgebung und dem politischen Willen kontrolliert wird. Und auch hier kann eine einfache Bilanz das Problem in die geeignete Relation setzen.
Die derzeitige Erdölförderung, die die Energieversorgung der Menschheit sicherstellt, beträgt weltweit ungefähr 4 Milliarden Tonnen, das entspricht anschaulich einem Quader von 4 km3 voll mit Öl Jahr. (Offizielle Energiestatistik der US Regierung, http://www.eia.doe.gov/ipm/supply.html). Bei einem angenommen Preis von 100 $/Barrel entspricht dies einem Wert von ungefähr 2500 Milliarden US-$. Rohöl ist allerdings nur beschränkt verfügbar und wird schon mittelfristig nicht mehr in ausreichender Menge zur Verfügung stehen. Verteilungskämpfe, und wirtschaftliche Verwerfung, Kriege, aber auch bittere Armut der dritten Welt sind die Konsequenz. Von einer verlässlichen Ölversorgung hängt unser jetziges Wirtschaftssystem ab. Gekoppelt damit ist aber weiterhin auch der Fragenkomplex nach der Verfügbarkeit von Rohstoffen für die Großchemie: Kunststoffe, Medikamente, die meisten Dingen des täglichen Bedarfes wären im Moment ohne Öl praktisch nicht mehr verfügbar. Der dritte, mit dem Ölzyklus verknüpfte Aspekt von fundamentaler Bedeutung ist der Klimawandel oder der Schutz der Atmosphäre. Alles geförderte Erdöl wird – früher oder später- als CO2 in das Erdsystem freigesetzt. Diese Schattenseite der Ölwirtschaft erzeugt allein aus Erdöl jährlich 12.5 Milliarden Tonnen CO2. Zusammen mit der Kohleverbrennung und der Zementherstellung rechnet man mit einer Nettobelastung der Atmosphäre von 8 GT Kohlenstoff/ Jahr oder ca. 30 GT CO2 / Jahr. Dies sind tatsächlich atemberaubende Zahlen, die uns sehr klein erschienen lassen. Diese Wechselbedingtheiten zeigen auch, dass eine Reduktion von Zukunftsbetrachtungen auf „noch mehr fossile Energie“ falsch ist; es gilt vielmehr, den Komplex Energie/Rohstoffversorgung/ Atmosphären- management zu handhaben und alle drei „Weltfragen“ gleichzeitig auszutarieren.
Die heute bei uns in Deutschland diskutierte und auch populäre Umstellung von Teilen des Energiesystems auf Biomasse oder partielle CCS-Schemen (CCS = „Carbon capture and sequestration“) möchte ich dabei zur Pointierung der Diskussion als Makulatur oder „Feigenblatt“ bezeichnen, da beides am wirklichen Problem nur wenig ändert.
Was wäre denn dann ein wirklich nützliches Instrument? Es geht doch auch darum, ein Mittel zu schaffen, welches in der Lage ist, sogar die bisherige Entwicklung umzukehren, indem man das atmosphärische CO2 der früheren Jahre der Industrialisierung ebenfalls binden kann. Das bedeutetdann Klimamanagement statt Klimaschädigung. Dieser Gedanke eines negativen Instrumentes, so einfach er auch ist, wird eher selten gedacht und ist derzeit noch nicht Gegenstand einer öffentlichen Diskussion. Grundsätzlich muss es aber um die Suche nach „neuen“ Kohlenstoff-Senken gehen, die nachhaltig und ungefährlich sind und die idealerweise auch in anderer Weise auch positiv zu unserem Leben beitragen.
Die größte, effektivste und auch natürlichste Kohlenstoffsenke, die sogar noch die energetisch aufwendige Bindung und Umwandlung des CO2 aus der Atmosphäre übernimmt, ist sicherlich das Wachstum von Biomasse. Eine grobe Schätzung der terrestrischen Biomasseproduktion ergibt 60 Milliarden Tonnen Kohlenstoff / Jahr, bezogen auf die getrocknete Substanz , . Der natürliche CO2-Kreislauf ist also immer noch um den Faktor 8 größer als der anthropogene, nur befindet sich die Natur eben in einem Gleichgewicht zwischen der Erzeugung und der erneuten Speicherung von CO2 , während die anthropogene CO2 Produktion unbalanciert in der Atmosphäre verbleibt. Biomasse ist zudem nur eine kurzfristige, temporäre Senke, da der mikrobakterielle Abbau von Biomasse nach dem Ableben der Pflanzen fast die gesamte Menge an CO2 wieder freisetzt, die vormals im Pflanzenmaterial gebunden wurde. So erzeugen die tropischen Regenwälder auf länger Sicht nur das Äquivalent an Sauerstoff, das der geringen Speicherung an Kohlenstoff in der bestehenden Biomasse entspricht; ihre Abholzung und Zerstörung setzt jedoch neben der direkten Freisetzung aus der Biomasse, auch durch Bodenerosion und Bodenatmung den zuvor mühsam gespeicherten Kohlenstoff schlagartig wieder frei. Biomasse enthält wegen ihrer chemischen Struktur ungefähr 40 gew% Kohlenstoff. Ein “Wegschliessen” von einem Zehntel der frisch produzierten Biomasse vom aktiven Ökosystem und die Unterdrückung seines biologischen Abbaus würde demnach tatsächlich die gesamte CO2 Freisetzung aus fossilem Öl kompensieren können. Dies ist die Größenordnung einer wirklich effektiven Klimaschutz-Maßnahme, und es wäre um Größenordnungen einfacher und billiger als alle von den Energiekonzernen diskutierten Lösungen.
Die Hydrothermale Carbonisierung (HTC)
Leider ist das Ganze nicht ganz so einfach: Pflanzenmasse enthält auch gebundenen Stickstoff und essentielle Mineralien (z.B. Kalium und Phosphor), die nicht einfach aus dem Kreislauf entfernt werden können. Es fehlt damit noch ein weiterer chemisch-technischer Zwischenschritt. Dazu benötigte “low-tech” Maßnahmen zur Trennung von Kohlenstoff und den anderen Kreislauf-Stoffen aus Biomasse sind selten, und im Sinne eines biomimetischen Ansatzes finden wir in der Natur nur drei Prozesse, die dies bewerkstelligen, nämlich
- die Bildung von Erdgas und Methanhydrat aus Biomasse,
- die Bildung von Erdöl, die chemisch/biologisch/geologisch noch kontrovers diskutiert wird und nicht einfach im Labor zu reproduzieren ist.
- Die Bildung von Kohle, die chemisch am einfachsten nachzustellen ist und auch vergleichsweise eindeutig verläuft.
Von den drei Prozessen ist „Verkohlung“ wohl auch der, der am häufigsten in der Erdgeschichte aufgetreten ist und dem wir den Großteil unserer heutigen Sauerstoffatmosphäre verdanken.
Unter Verkohlung versteht man auch nicht nur die „heiße“ Flammverkohlung, wie sie z.B. von einem Köhler zur Herstellung von Holzkohle praktiziert wird. Es gibt auch eine effektivere, „kalte“ Verkohlung, die sich auf der Zeitskala von ein paar Hundert Jahren (bei der Bildung von Torf) bis zu Millionen Jahren (Schwarzkohle) vollzieht. Hier wird Biomasse unter leicht sauren Bedingungen unter Luftausschluss weitgehend von einer oxidativen Biologie ferngehalten und chemisch langsam zur Kohle entwässert. Wegen dieser scheinbaren Langsamkeit wird diese Verkohlung üblicherweise nicht in Schemata für erneuerbare Energien berücksichtigt oder gar als eine aktive Quelle für den CO2 Kreislauf berücksichtigt.
„Verkohlen“ ist eine sehr elementare Erfahrung, und Holzkohle und Teer werden von Menschheit wohl seit der Steinzeit „produziert“ und genutzt. Auch in der „modernen“ wissenschaftlichen Literatur findet man einige Versuche, wie man die Kohlebildung mit schnelleren physikalischen Prozessen nachahmt. Ergänzend zur klassischen Köhlerei ist im Rahmen des oben genannten Kontexts die „Hydrothermale Carbonisierung“ (HTC) von besonderem Interesse. Erste Experimente wurden schon 1913 von Bergius and Specht durchgeführt, die die hydrothermale Umwandlung von Cellulose in Kohle-artige Materialien beschrieben. Hydrothermal bedeutet dabei, dass die Biomasse in Anwesenheit von Wasser und möglichen Katalysatoren einfach aufgeheizt wird; zum Erreichen der notwendigen Temperaturen von 180 °C – 230 °C erfolgt die Reaktion in einem Autoklaven, der technischen Version eines „Dampfkochtopfes“.
Moderne Experimente nehmen diese Ansätze auf, erzeugen aber durch die Zugabe von Katalysatoren oder einfachen andere Zuschlagsstoffen eine schnellere Prozessführung bzw. erlauben die Herstellung spezieller Nanostrukturen. Die dabei beschriebenen Beschleunigungen der Verkohlung in der HTC um einen Faktor 106 – 109 bis hinab auf die Stundenskala bei recht milden Bedingungen machen die Hydrothermale Carbonisierung zu einer technisch attraktiven Alternative, die es zu berücksichtigen gilt. Dies gilt besonders auch für das Binden von Kohlenstoff aus Biomasse auf der großen und auch globalen Skala.
Die HTC ist im Vergleich zu den anderen Verfahren der Biomasse-Nutzung nicht nur schnell und einfach. Zum einen braucht sie inhärent nasse Startprodukte, da die Reaktion effektiv nur in einer wässrigen Phase eintritt, d.h. ein Trocknen ist nicht nötig. Zum anderen kann die Biokohle von der Lösung durch Filtern getrennt werden: komplizierte Isolierung kann so vermieden werden. Dabei ist vorteilhaft, dass die Majorität der Salze der Pflanzenmasse in dem Kochwasser verbleibt und so dem Ökosystem wieder zurückgegeben werden kann. Weiterhin geht bei schwach sauren Bedingungen und geeigneter Prozessführung praktisch der gesamte Kohlenstoff der Biomasse in die Biokohle über: die so genannte Kohlenstoffeffizienz („carbon efficiency“, CE) ist praktisch 1. Der wohl wichtigste Vorteil ist jedoch, dass- einmal entsprechend thermisch aktiviert- die hydrothermale Carbonisierung ein spontaner, exothermer Prozess ist. Je nach Kondensations- oder „Reifegrad“ der Kohle wird zwischen 5% und 30% der ursprünglich in der Pflanzenmasse gebundenen chemischen Energie als Wärme frei. Dies wurde schon 1913 von Bergius beschrieben.
Biokohle: Energieträger oder CO2- Lager ?
Aus diesen Gründen ist es unsere Meinung, dass die Carbonisierung von Abfall-Biomasse oder von schnell wachsenden Pflanzen und Algen (die zu diesem Zweck angebaut wurden) der im Moment wohl effektivste und auch machbarste Prozess zur Entfernung von atmosphärischenCO2 ist, wobei ein gut lagerbarer, wenn nicht sogar sehr nützlicher Feststoff entsteht. Dies ist im Hinblick auf die Risiken so genannter CCS-Schemen („carbon capture and storage“), bei denen gasförmiges CO2 in ehemaligen Gaslagerstätten gespeichert wird, doch sehr bemerkenswert. Dabei kann natürlich die Biokohle wie mineralische Kohle verbrannt werden, dann allerdings nur mit einer CO2 –neutraler Wirkung. Um die erwünschte negative Wirkung auf die atmosphärische CO2 – Balance zu erzielen, sollte die Biokohle jedoch in großskaligen Anwendungen dem kurzfristigen Kreislauf entzogen werden.
Die Wirtschaftlichkeit solcher Bemühungen und damit eine faire Bewertung der Kosten der Nutzung der Atmosphäre lässt sich zumindest einfach abschätzen. Würden wir als Menschheit nur 10% unserer Ausgaben für Rohöl für die globale Speicherung von CO2 aufwenden (250 Milliarden US $), käme so immerhin 20 US$ / Tonne CO2 zusammen, das sind 73 US $ pro Tonne gebundenen Kohlenstoff (alle Zahlen sind nur auf die Ölwitschaft bezogen). Eine solche Kostendeckung lässt einfache Verfahren wie die HTC gut zu und berücksichtigt dann nicht einmal den Mehrwert für das Geosystem, die Landwirtschaft, oder auch den erzielbaren Preis für Kohlenstoff in materialwissenschaftlichen Anwendungen. Aufwendigere Rechnungen und Bilanzierung sind zwar wissenschaftlich unbedingt notwendig, aber politisch eher bedenklich, da sie die generelle Machbarkeit eines effektiven Klimaschutzes auf Kosten der Verursacher verschleiern helfen.
Dabei ist die breite Verfügbarkeit niederwertiger Biomasse nicht zu unterschätzen. Selbst dicht besiedelte Industrieländer wie Deutschland haben da viel zu bieten. So ist der Anfall von Resten der Zuckerproduktion aus Rüben (ca. 4.5 Millionen Tonnen Zucker, damit ungefähr das Doppelte an ausgepressten Rübenschnitzel) oder die Reste der Biodieselproduktion (ca 10 Mt Rückstände von Rapspflanzen) auf Grund öffentlicher Produktionsstatistiken klar zu quantifizieren. Bei der „grünen Tonne”, Stadtgrün und Klärschlamm kann man mit 250 kg pro Bürger rechnen, und beim Landschaftsschutz aus Naturschutzgebieten fallen ebenfalls etliche Millionen Tonnen an, die nieder- bzw. ungenutzt verbleiben. Das Gesamtpotential an Biokohle bei Nutzung vorhandener, bereits gesammelter Nebenprodukte liegt damit in Deutschland durchaus in der Größenordnung des deutschen Kohleverbrauchs an sich. Die hydrothermale Behandlung von Biomasse ist damit ein realistisches technisches Instrument zur Reduktion des atmosphärischen CO2 .
„Terra Preta“ und der biologische Mehrwert
Eine attraktive mögliche Anwendung auf globalen Skala für eine nicht-energetische Nutzung, die auch ökologische Vorteile mit sich bringt, ist die Nutzung der wasser- und ionenbindenden Biokohlen zur Verbesserung von Ackerböden. Eine solche Technik entspricht dem Nachstellen des natürlichen Prozesses der Entstehung von Schwarzerden, die zu den fruchtbarsten Böden der Erde zählen. „Schwarzerden“, d.h. stark huminstoffhaltige Böden, sind wohl schon jetzt einer der größten Kohlenstoffspeicher des Erdsystems. Das hohe Alter des Kohlenstoffes dieser Böden, das durch den Einsatz der Radiokohlenstoffmethode bestimmt werden kann, verdeutlicht aber, dass der natürliche Prozess der Schwarzerde-Entstehung ein sehr langsamer Prozess. Die Entwicklung von biomimetischen Biokohlen mit gesteuerten Eigenschaften könnte diesen Prozess beschleunigen und so die Ertragsfähigkeit und Ertragssicherheit landwirtschaftlicher Flächen selbst unter geänderten Klimasituationen sicherstellen, bei gleichzeitiger CO2-negativer Wirkung.
Dabei geht die Einbringung von künstlich erzeugtem Kohlenstoff in Böden weit über die passive Lagerung von Kohlenstoff hinaus; es ist vielmehr mit einer Potenzierung des Speichereffekts durch die Aktivierung von Pflanzenwuchs und Biologie zu rechnen: mehr Pflanzenwuchs bedeutet eben auch mehr aus der Atmosphäre entferntes CO2.
Ein Modell hierfür geben interessanterweise historische Ausgrabung im Amazonasbecken . Dort gab es über 2000 Jahre lang eine Indianerkultur, die bis zu 10 % von Amazonien bedeckte und im 16. Jhd. ein Mehrfaches der heutigen Siedlungsdichte ernähren konnte, indem sie künstliche Schwarzerde aus Holzkohle, Algenresten, Abfällen und Sanitärabfällen erzeugen konnte. Diese „terra preta“ (schwarze Erde) ist heute noch stabil, erhöht die Bodenfruchtbarkeit auch ohne zusätzlichen Dünger durch Speichereffekte, und erlaubt mehrere Ernten im Jahr. “terra preta” wurde von Geoforschern als potentielle globale Kohlenstoffsenke vorgeschlagen, wobei eben gleichzeitig Bodenqualität und Pflanzenwachstum befördert würde.
Mit dem einfachen Nachstellen einer “terra preta” geben sich die heutigen Materialchemiker natürlich nicht zufrieden. Auch wenn Biokohle üblicherweise aus Biomasse gemacht wird, so kann man doch durch die Wahl der Biomasse, die Anwendung geeigneter Bedingungen und die Zugabe spezieller Katalysatoren das Produkt in seiner Chemie und seiner Struktur einstellen. Für die Anwendung als Bodenverbesserer braucht ein solches Kohlenstoffmaterial eine wasserliebende Oberfläche mit speziellen chemischen Gruppen und eine hohe Kapillarität. Neben chemischen Parametern ist eben auch eine spezielle Textur sehr vorteilhaft, d.h. die Architektur der Kohle muss kontrolliert werden. So kann- trotz biologischer Rohstoffe das gesamte Wissen der modernen Chemie in ein solches Forschungsprojekt einfließen, und es entsteht eine Art „Superhumus“, wie er in der Natur zufällig wohl eher selten entsteht. Abbildung 2 zeigt zur Verdeutlichung die innere Struktur eines solchen HTC Produkts, welches aus Rohbiomasse hergestellt wurde . Das Material kombiniert optimale Zugänglichkeit mit einer hoch funktionellen Oberflächenchemie und ist ideal zur kapillaren Bindung von Wasser und spezifischer Ionenbindung, eine Art Kohleschwamm sozusagen. Natürlich müssen laufen jetzt auch Experimente, die überprüfen müssen, wie nachhaltig diese Maßnahme zur Kohlenstoffspeicherung wirklich ist. Das Alter von Schwarzböden bzw. die Stabilität der antiken Terra Preta Böden stimmen hier jedoch sehr hoffnungsvoll.. Die Stabilität der Biokohle kann zudem durch das Verständnis und die Kontrolle der unterliegenden hydrothermalen Chemie auch den Bedürfnissen des Ökosystems angepasst werden, und so durch die Erzeugung von Designer-Kohle gezielt wichtige Ökosystemfunktionen, wie Wasserspeicherung, Trinkwasserreinigung oder Nährstoffspeicherung fördern.
„Terra Preta“ und der biologische Mehrwert
Anstelle den Regenwald für eine fragwürdige Palmöl-Produktion abzuholzen könnte man einfach den Regenwald durch Bodenverbesserung stärken; so ein „Turbo-Dschungel“ würde deutlich mehr Biomasse als eine Plantage produzieren, dabei CO2-negativ sein und gleichzeitig die Artenvielfalt unterstützen.
Alternativ bieten sich für die Kohlenstoff-Ausbringung auch abgewirtschafteter Karstfläche an. Die Schätzungen solcher Flächen bei ansonsten günstigen Rahmenbedingungen sind widersprüchlich, aber liegen in der Größenordnung von global bis zu 1 Milliarde Hektar. Bei 1 kg terra preta pro m2 ergibt sich alleine hierfür ein Bedarf von 10 Milliarden Tonnen, das ist interessanterweise in der Größenordnung der Kompensation der Jahresweltproduktion von fossilen CO2. Auch der biologische Multiplikator durch Folgewirkung lässt sich einfach abschätzen: ungefähr die gleiche Menge Kohlenstoff wird dann jährlich wiederholt als Biomasse auf den vormaligen Brachflächen gebunden, bei Baumbestand über viele Jahrzehnte hinweg, und das ohne chemisch-techisches Zutun.
Zusammenfassung: Große Zahlen und kleine Individuen
Natürlich sind das -sowohl bei der Energie als auch bei den Kohlenstoff-negativen Produkten- erschreckend große Zahlen, die auch über die Vorstellungskraft des Autors hinausgehen und nur als Weltgemeinschaft und im globalen Rahmen behandelt werden können. Um von unserem jetzigen „Atmosphären-Verbrauch“ zu einem aktiven „Atmosphären-Management“ kommender Generationen zu kommen, kann zudem nicht einfach weiter herumgespielt werden: hierzu ist ein viel besseres Verständnis der Wechselbedingtheiten von Klima, Stoffkreisläufen und menschlichem Einfluss vonnöten. Trotzdem ist es eine befriedigende Aufgabe für den Materialchemiker, an Verfahren der artifiziellen Photosynthese oder Biomasse-Umsetzungstechnologien zur CO2 Bindungzu arbeiten und zu zeigen: es geht.
Und 5 „künstliche Bäume“ sowie 3 Tonnen Kohlenstoff aus Biomasse pro Person in Industrieländern für ein „neutrales Wirtschaften“: das sind Zahlen, die auch individuell zu verstehen sind und zeigen: es geht sogar ohne große Änderungen, ein wenig wissenschaftlicher Fortschritt vorausgesetzt.

* Das Manuskript basiert in Teilen auf früheren Vorträgen und Beiträgen des Autors, die ohne Zitation genannt werden. Das Manuskript ist als Redekopie zu verstehen und erhebt nicht den Anspruch, eine Originalveröffentlichung zu sein.
i H. LIETH, R. H. WHITTAKER, “P rimary Productivity of the Biosphere”, pp. 205-206, Springer, Berlin (1975).
ii Bobleter O, Prog.Polym.Sci. 1994, 19, 797 – 841
iii Bergius, F., Specht, H.: “Die Anwendung hoher Drücke bei chemischen Vorgängen”, Halle, 1913
iiii Glaser, B : Prehistorically modified soils of central Amazonia: a model for sustainable agriculture in the twenty-first century , PHILOSOPHICAL TRANSACTIONS OF THE ROYAL SOCIETY B-BIOLOGICAL SCIENCES 2007, 362, 187 – 196
v Marris E, Nature 2006, 442, 624 – 626
vi Titirici, MM; Thomas, A; Yu, SH, Antonietti M.: A direct synthesis of mesoporous carbons with bicontinuous pore morphology from crude plant material by hydrothermal carbonization CHEMISTRY OF MATERIALS 2007, 19, 4205-4212
vii Pearce F, New Scientist 2005, 188 (2526), 19